Situation der Grafologie
Grafologie und Schriftspychologie als Wissenschaft
Auch die Grafologie wird methodisch erforscht, ihre Erkenntnisse können zu einem wesentlichen Teil nachvollzogen werden. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass zahlreiche namhafte Grafologen Naturwissenschafter oder Mediziner waren. Es bleibt aber stets ein Bereich, der nicht messbar ist - wie dies auch in anderen Diszplinen wie etwa Medizin, Geschichte, Sprachen und anderen der Fall ist.
Erfahrungen aus der Praxis zeigen ganz klar den Nutzen der Grafologie im Zusammenhang mit Personalselektion auf.
In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Handschriftendiagnostik an mindestens elf deutschen Universitäten gelehrt. Am weitesten fortgeschritten war die Ausbildung bei Robert Heiss an der Universität Freiburg. Dort war Grafologie Pflichtfach für die Studierenden der Psychologie. (Aus: Wallner, 2003).
Zwischen Professoren und Studierenden konnte aber kein solider Mittelbau etabliert werden mit dem Resultat, dass nach dem Ausscheiden von führenden Grafologen keine Kontinuität an den Hochschulen gewährleistet war.
Kommt hinzu, dass die letzten dreissig Jahre des 20. Jahrhunderts im Zeichen der Postmoderne standen. Dekonstruktivismus war die Devise, die "bewährten" Axiome der Nachkriegszeit wurden von der jüngeren Generation radikal in Frage gestellt. So hatte für die "68er" auch die Grafologie nicht mehr einfach per se einen Wert, sondern wurde ebenfalls hinterfragt.
In einer kleinen Zusammenstellung wird näher auf die Entwicklung der deutschen Grafologie seit 1970 eingegangen.
Nach wie vor ist Grafologie an verschiedenen Universitäten in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien im Fächerangebot.
Aktiv sind auch verschiedene Standesvereinigungen und Berufsverbände; diese Interessengruppen betreiben auch Forschungsprojekte, welche publiziert werden und teilweise auch auf dieser Website veröffentlicht sind.
Daneben gab und gibt es viele engagierte Einzelpersonen und informelle Netzwerke, innerhalb derer sich die Grafologinnen und Grafologen austauschen. Diese Aktivitäten sind aber fachspezifisch und daher im Prinzip nach innen gerichtet.
Von aussen wirkt die Grafologie derzeit eher heterogen. Immerhin zeigen sich Ansätze für eine Konzentration der Interessenvertretungen und Bündelung der Kräfte.
Es muss aber ganz klar gesehen werden, dass Heterogenität, unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Ländern und Konkurrenzdenken nicht nur in der Handschriftendiagnostik zu beobachten sind. Gerade die von vielen Kritikern als Vorbild hingestellten Naturwissenschaften und die Medizin sind von da her absolut in vergleichbaren Situationen wie die Grafologie. Lesenswert ist der Artikel von Gottfried Schatz "Gefährdetes Licht - über die Bedrohungen, denen die Naturwissenschaften heute ausgesetzt sind".
Sogar die Neurowissenschaften - ein Forschungszweig, der in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zunehmend an Attraktivität gewonnen hat - spüren die Einstellung, dass "alles" in möglichst kurzer Zeit messbare Resultate zu bringen habe. Die Hirnforscher sehen sich wie die Grafologie/Schriftpsychologie mit komplexen Aspekten der Persönlichkeiten konfrontiert, mit Fragen, auf die es keine einfachen und schnellen Antworten gibt. Dies hat zur Folge, dass die Pharmafirmen mit Geldern für die Forschung zunehmend zurückziehen. Aufschlussreich wird das gezeigt im Artikel "Für Hirnerkrankungen sind keine Blockbuster in Sicht" in der NZZ vom 8. August 2012.
Kritik an der Grafologie
Phasenweise wird heftig und lautstark Kritik an der Grafologie bzw. der Schriftpsychologie geübt. Gerne wird behauptet, sie sei unwissenschaftlich - pikant daran ist, dass die meisten dieser Kritiker keine vertieften Kenntnisse über diese diagnostische Methode haben. So entpuppt sich deren Urteil als reines Vorurteil; die Wiederholung von unzutreffenden Behauptungen lässt diese nicht zutreffender werden.
In diesem Zusammenhang sei auf eine Studie von 2015 hingewiesen, laut der sich implizite Motive in der Handschrift finden lassen und dass darüber hinaus auch die Handschrift unabhängig von impliziten Motiven einen Einfluss auf das Lernverhalten zeigt.
Derartige Einstellungen sind vor allem imUS-amerikanischen Umfeld zu finden. Dort wird die Grafologie sehr häufig als eine Art Jahrmarktattraktion, mit der man viel Geld verdienen kann, betrieben. Dort sind also Vorbehalte durchaus angebracht, doch in Europa ist die Situation völlig anders.
Tatsache ist, dass die Verantwortlichen in der Redaktion dieser Website in den vielen Jahren ihrer grafologischen Tätigkeit immer wieder solche Kritiker eingeladen haben, die Probe aufs Exempel zu machen und die eigene Handschrift analysieren zu lassen. Es ist jedoch nie jemand auf dieses Angebot eingegangen, was eher aufzeigt, dass die lautstarken Vorwürfe ihren Ursprung in persönlichem Ressentiment oder auch Angst haben - manche singen und pfeifen ja beim Durchqueren eines dunklen Waldes in der Nacht...
Schliesslich ist interessant zu wissen, dass die heftigsten Angriffe von Leuten vorgebracht wurden und werden, die selber (teure) Persönlichkeitstests an Unternehmen verkaufen. Eine etwas naive "Wissenschaftsgläubigkeit" sowie handfeste materielle Interessen gehen dann eine emotional wirksame Verbindung ein. Genaueres dazu im Artikel von Dr. Christian Katz.